Bevor er schlafen ging, schrieb er - jeden Abend, auch auf einer Reise oder nach einem Fest, das bis zum frühen Morgen gedauert hatte - mit einem Federkiel und Tusche in einem Buch, das in schwarzes Leder gebunden war, einem Folianten voller einst leerer Seiten, die er inzwischen fast alle beschrieben hatte. Er tat dies seit einem halben Jahrhundert. Es war ein Auftrag, jedenfalls konnte er nicht anders. Ich hatte ihn einmal gefragt, ein einziges Mal, was er da schreibe. "Mein Lebensbuch", hatte er geantwortet.

Urs Widmer (Das Buch des Vaters)

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Der Hof des Gefängnisses war grell beleuchtet, die Scheinwerfer an den Wänden waren eingeschaltet. Die Gesichter der Menschen waren weiß, alles sah aus wie in einem überbelichteten Film. Ein Lastwagen stand in der Mitte, die hintere Plane war zurückgeschlagen. Die Gefangenen kletterten auf die Lade und setzten sich auf die Bänke. Vier Soldaten bewachten sie, sie hatten Maschinenpistolen. [...]. Keiner schrie Befehle, keiner wehrte sich.

Der Fall Collini (Ferdinand von Schirach)