ORMIN: Man verändert sich ja nicht, Frau Klara. Man verstellt sich; man lügt anderen, zuweilen auch sich selbst, etwas vor, aber im tiefsten Wesen bleibt man doch immer, wer man war.

KLARA: Wenn man nur genau wüsste, wo dieses Tiefste sich eigentlich zu verbergen pflegt.

ORMIN: Darüber sind wir uns wohl einig. Dort, wo unsere Wünsche schlafen oder sich schlafend stellen.

KLARA: Am Ende gilt doch nur, was wir getan und gelebt - und nicht, was wir gewünscht oder ersehnt haben.

Stunde des Erkennens (Arthur Schnitzler)

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Und während ich zurück nach Hause gehe, stelle ich mir vor, so zu enden wie er, von allem befreit, dem Leben zu entkommen, ohne eine Spur zu hinterlassen. Hinzufallen auf einem eisigen Weg und nicht wieder hochzukommen und mich irgendwann zu ergeben. Mein Atem wird ruhiger, die Kälte spüre ich nicht mehr. Ich denke an mein Leben, das noch gar nicht stattgefunden hat, unscharfe Bilder, Figuren im Gegenlicht, entfernte Stimmen. Seltsam ist, dass mir diese Vorstellung schon damals nicht traurig vorkam, sondern angemessen und von einer klaren Schönheit und Richtigkeit wie dieser Wintermorgen vor langer Zeit.

Peter Stamm - Die sanfte Gleichgültigkeit der Welt